Amtsgeheimnis

Das Amtsgeheimnis stellt besondere Anforderungen an die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen verschiedenen Stellen. Für Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung gilt folgendes Vorgehen1:

  • Rechtsgrundlagen des Kantons beachten (insbesondere Bedrohungsmanagement);
  • Amtsgeheimnis, spezialgesetzliche Schweigepflichten und Berufsgeheimnisse beachten (ansonsten: Entbindung durch vorgesetzte Stelle);
  • Bei Unklarheiten: Falls vorhanden bei der jeweiligen internen Stelle für Bedrohungsmanagement o. ä. und bei der Datenschutzaufsichtsbehörde nachfragen.

Bei einer trägerinternen Weiterbildung zur Extremismusprävention diskutieren die Anwesenden die Einschätzung möglicher Radikalisierungen von Jugendlichen. In diesem Zusammenhang ist auch das Meldeverhalten der Jugendarbeitenden ein Thema. Ein Jugendarbeiter äussert sich dahingehend, dass für ihn die Beziehungsarbeit und das Vertrauen zu den Jugendlichen im Vordergrund stehen. Deshalb würde er Informationen zu einer möglichen Radikalisierung nicht an Dritte weitergeben. Darauf ergreift seine Vorgesetzte das Wort: Sie macht die anwesenden Jugendarbeitenden darauf aufmerksam, dass sie an das interne Meldeverfahren gemäss Bedrohungsmanagement gebunden sind. Eine solche Beobachtung oder Einschätzung muss deshalb unverzüglich der Leitung der Jugendarbeit gemeldet werden. Sie betont, dass das Vertrauensverhältnis zu den Jugendlichen in einem solchen Fall keine Priorität hat und gegenüber den Abläufen des Bedrohungsmanagements als zweitrangig einzustufen ist.

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Hinweis:
Die Fallbeispiele illustrieren die jeweilige Thematik und die damit verbundenen Herausforderungen. Sie enthalten jedoch nicht unbedingt Empfehlungen dazu, welche Massnahmen in den dargestellten Radikalisierungsfällen ergriffen werden sollten. Diese gilt es von Fall zu Fall sorgfältig abzuwägen und zu beschliessen. Einige Beispiele präsentieren aber Präventionsmassnahmen, welche sich in vergleichbaren Situationen als wirksam herausstellen können.

Diese klaren Vorgaben können zu Konflikten führen zwischen dem professionellen Rollenverständnis und Berufsethos auf der einen und organisationalen, arbeitsrechtlichen Regelungen und Meldepflichten auf der anderen Seite. Deshalb ist es wichtig, das Spannungsverhältnis zwischen Beziehungsarbeit und Bedrohungsmanagement organisationsintern zu diskutieren. Allfällige Rollenkonflikte sind zu thematisieren, um im Ernstfall ein «Information Hiding» zu vermeiden.

Weiter ist es wichtig, den Mitarbeitenden zu erklären, wie es nach dem Meldeverfahren weitergeht: Wenn ihnen dargelegt werden kann, dass die Abwendung der Selbst- und Fremdgefährdung und damit die positive Entwicklung der betroffenen Jugendlichen im Vordergrund stehen, können sie von der Notwendigkeit, bestimmte Informationen offenzulegen, überzeugt werden.
 

Verletzung des Amtsgeheimnisses

Ein Amtsgeheimnis liegt dann vor,
•    wenn eine gesetzliche Geheimhaltungspflicht besteht,
•    und es sich gleichzeitig um Tatsachen handelt, die weder öffentlich bekannt noch allgemein zugänglich sind, und welche weder im öffentlichen noch im privaten Interesse mitgeteilt werden dürfen.

Die Schweigepflicht gilt nicht nur gegenüber Privaten und der Presse. Sie gilt auch in Bezug auf (andere) Behörden sowie Beamtinnen und Beamte, die mit der Angelegenheit nichts zu tun haben und denen auch keine Aufsichtsfunktion zukommt. Grund dafür ist, dass die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass ihre persönlichen Verhältnisse anderen Dienststellen nur so weit nötig zur Kenntnis gebracht werden. Vorbehalten bleiben gesetzliche Auskunfts- bzw. Amtshilfepflichten.

Laut Artikel 13 der Schweizer Bundesverfassung ist der Schutz der Privatsphäre  bezüglich der Achtung des Privat- und Familienlebens sowie des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs  zu wahren: «Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten»2. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt vor, wenn sie nicht gerechtfertigt werden kann:

  • Weder durch Einwilligung der betroffenen Person
  • noch durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse
  • noch durch das Gesetz3.

Das heisst, Sozialarbeitende dürfen Daten auch ohne Einwilligung der betroffenen Person mit Dritten austauschen, wenn eine gesetzliche Grundlage es erlaubt – beispielsweise eine gesetzliche Anzeigepflicht. Der Austausch muss in diesem Fall aber einem öffentlichen Interesse entsprechen und verhältnismässig sein. Öffentliches, etwa polizeiliches Interesse nach Ordnung, Sicherheit, Gesundheit etc., besteht insbesondere in Fällen ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr4.

Es liegt keine Amtsgeheimnisverletzung vor, wenn das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung der vorgesetzten Behörde offenbart wird. Allgemein zugängliche und offenkundige personenbezogene Tatsachen fallen nicht unter die Geheimhaltungspflicht.

In einem kleinräumigen Kanton treffen sich die Verantwortlichen aus dem Bildungsbereich, den Sozialen Diensten, der Polizei, der Fachstelle Extremismus und der Integrationsfachstelle regelmässig. Sie tauschen sich über aktuelle Fälle von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus, welche als radikalisiert eingestuft werden. Sie diskutieren Massnahmen, wie sie die betroffenen Personen stabilisieren und auf ihre Distanzierung vom extremistischen Umfeld sowie von ihrer radikalisierten Gesinnung hinwirken können. Auch wenn der Name der betroffenen Personen an diesen interdisziplinären Sitzungen nicht fällt und ein Pseudonym verwendet wird: Aufgrund der spezifischen Konstellation und der Kleinräumigkeit ihres Kantons können die beteiligten Amtspersonen meist auf die Identität der Betroffenen schliessen. Die beteiligten Amtspersonen unterstehen der Schweigepflicht und gehen sorgfältig mit den geteilten Informationen um. Trotzdem handelt es sich in solchen Fällen um eine implizite Verletzung des Amtsgeheimnisses und damit um eine sensible Grauzone am Rande der Geheimhaltungspflicht. Das Interesse, die öffentliche Sicherheit zu wahren, die potenzielle Selbst- und Fremdgefährdung sowie die Verhinderung einer Straftat werden in solchen Konstellationen aber als höheres Rechtsgut eingestuft.

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Hinweis:
Die Fallbeispiele illustrieren die jeweilige Thematik und die damit verbundenen Herausforderungen. Sie enthalten jedoch nicht unbedingt Empfehlungen dazu, welche Massnahmen in den dargestellten Radikalisierungsfällen ergriffen werden sollten. Diese gilt es von Fall zu Fall sorgfältig abzuwägen und zu beschliessen. Einige Beispiele präsentieren aber Präventionsmassnahmen, welche sich in vergleichbaren Situationen als wirksam herausstellen können.

In diesem Zusammenhang ist die Notstandshilfe nach Art. 17 StGB relevant: „Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt." Wenn Sozialarbeitende der Sozialdienste und Fachpersonen, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten zum Beispiel wissen, dass ein jugendlicher Klient oder eine jugendliche Klientin weggelaufen ist, um nach Syrien in den Dschihad zu gehen, dürfen sie das Amtsgeheimnis auch gegen den Willen des Klienten oder der Klientin verletzen. Dabei gilt es zu beachten, dass die Gefahr nicht anders abwendbar ist. Nur so ist die Notstandshilfe gerechtfertigt.

Eine Rettungshandlung ist immer dann rechtmässig, wenn die damit verbundene Gefahr geringer ist als diejenige, die abgewendet wurde, und also das höherrangige Rechtsgut geschützt wird5.