Rechtliche Grundlagen für Gefährdungsmeldungen

Sozialarbeitende der Sozialdienste und Fachpersonen, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten, unterstehen dem Amtsgeheimnis. Sie machen sich grundsätzlich strafbar, wenn sie ein Geheimnis kundgeben, das ihnen anvertraut wurde oder das sie selber entdeckt haben.
Unter folgenden Voraussetzungen ist es ihnen erlaubt, von diesem Grundsatz abzuweichen:

  • Wenn ein Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt oder eine Amtspflicht dies vorsieht und die Kundgabe im Einzelfall verhältnismässig ist.
  • Wenn bei zwei Rechtspflichten die Erfüllung der einen Rechtspflicht die Missachtung der anderen zur Folge hat (Pflichtenkollision).
  • Wenn bei einer unmittelbaren Gefahr für das Rechtsgut einer Drittperson (Notstandshilfe) das Interesse befolgt wird, das im Einzelfall als wichtiger eingestuft wird. Kriterien für die Einstufung sind der Rang des Rechtsgutes, die Schwere des Eingriffs und die Grösse der Gefahr (im Falle einer radikalisierten Person könnte eine solche Gefahr von einem geplanten Terroranschlag ausgehen).  
  • Wenn die betroffene Person in die Kundgabe einwilligt oder - sofern (auch) Geheimnisse des Gemeinwesens betroffen sind - die vorgesetzte Stelle einwilligt.
  • Wenn in einer Zwangssituation, in der eine Entscheidung getroffen werden muss, die betroffene Person aufgrund der Umstände zwar nicht einwilligen kann, aber davon ausgegangen werden darf, dass sie einwilligen würde, falls sie entscheiden könnte.

Müssen oder dürfen Sozialarbeitende der Sozialdienste und Fachpersonen, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten, Gefährdungsmeldungen machen?

Ja, sofern die drei nachfolgenden Punkte gegeben sind:

  • im betreffenden Kanton eine gesetzliche Grundlage besteht (→ Legalitätsprinzip),
  • die Verhältnismässigkeit gewahrt wird (→ so viel wie nötig, so wenig wie möglich),
  • Amtsgeheimnis, Schweigepflichten oder Berufsgeheimnis nicht verletzt werden.

Wenn Bedarf nach einer Meldung besteht und es nötig ist, dafür Daten bekanntzugeben, gilt es, zuerst folgende Fragen zu klären:

  • Wer in der Organisation darf einen solchen Fall melden?
  • Wem sollte der Fall gemeldet werden?
  • Welche Voraussetzungen oder rechtliche Kriterien braucht es für die betreffende Meldung?
  • Müssen die gesetzliche Schweigepflicht oder Berufsgeheimnisse berücksichtigt werden?

Für die Wahl des Vorgehens ist es wichtig, das Risiko einer weiteren Radikalisierung und der Gewaltbereitschaft der betroffenen Person einzuschätzen. Dafür braucht es unter Umständen weitere Informationen sowie Einschätzungen Dritter1. In diesem Fall stellen sich weitere Fragen wie zum Beispiel:

  • Wer soll diese Informationen beschaffen?
  • Bei wem oder welchen Stellen darf nachgefragt werden?
  • Wie ist mit diesen Informationen oder Daten umzugehen?
  • Darf eine Mitteilung an Dritte gemacht werden (Schule, Arbeitgeberin oder Arbeitgeber, Lehrmeisterin oder Lehrmeister)?
  • Besteht eine Informationspflicht gegenüber der radikalisierten Person?

Ein Gefährder wird nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in der wirtschaftlichen Sozialhilfe weiterbetreut. Aufgrund seiner länger andauernden Arbeitslosigkeit wird er in ein Programm des zweiten Arbeitsmarkts geschickt. Die Leiterin des Programms wird über den Hintergrund des Gefährders informiert und gleichzeitig dazu angehalten, diese Information vertraulich zu behandeln. Sie informiert den Leiter der Werkstatt, in welcher der Gefährder beschäftigt werden soll, und bittet ihn ebenfalls, vertraulich mit der Information umzugehen. Zwei Wochen später erkundigt sie sich nach dem Arbeitseinsatz. Sie erfährt, dass der Werkstattleiter den Gefährder in der Werkstatt eines Kunden, eines privaten Unternehmens, platziert hat, weil er selber das Risiko nicht auf sich nehmen wollte. Da der Kunde als Externer nicht über die Hintergründe informiert werden kann und «die Auslagerung des Risikos» unter diesen Umständen nicht vertretbar ist, wird der Arbeitseinsatz unverzüglich abgebrochen. Da der Anbieter des zweiten Arbeitsmarkts den Gefährder nicht weiterbetreuen will, weil der Fall bereits zu viel Staub aufgewirbelt hat, wird eine Neuplatzierung notwendig. Die Wahl fällt auf ein Arbeitsintegrationsprogramm, wo der Gefährder durch den zuständigen Sozialarbeiter enger begleitet wird.

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Hinweis:
Die Fallbeispiele illustrieren die jeweilige Thematik und die damit verbundenen Herausforderungen. Sie enthalten jedoch nicht unbedingt Empfehlungen dazu, welche Massnahmen in den dargestellten Radikalisierungsfällen ergriffen werden sollten. Diese gilt es von Fall zu Fall sorgfältig abzuwägen und zu beschliessen. Einige Beispiele präsentieren aber Präventionsmassnahmen, welche sich in vergleichbaren Situationen als wirksam herausstellen können.