Verantwortung der Sozialen Arbeit in Radikalisierungsfällen

In der Arbeit mit gefährdeten oder bereits radikalisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommt den Fachpersonen der Sozialen Arbeit eine verantwortungsvolle Position zu. Ihre Aufgabe ist,

  • das Gespräch zu suchen mit Jugendlichen, welche anfällig sind für extremistische Angebote. Mit dem Ziel, in Erfahrung zu bringen, was sie in ihrer Orientierungssuche leitet und welche Problemlagen, Risiken und Ressourcen vorhanden sind.
  • wenn möglich Gespräche mit dem Umfeld (Peers, Bezugspersonen) der betroffenen Jugendlichen zu führen, um die Situation besser einschätzen zu können.
  • Vorgesetzte oder den Dienst zu informieren, wenn sie bei Jugendlichen Radikalisierungstendenzen feststellen (gemäss jeweiligem Bedrohungsmanagement).
  • Kontakt aufzunehmen mit der zuständigen kantonalen oder städtischen Anlaufstelle und geeignete Präventionsmassnahmen zu definieren.

Ein junger Erwachsener (19 J.) engagiert sich seit mehreren Jahren in der Offenen Jugendarbeit für das Midnight-Basketball und trainiert verschiedene Teams. Vor vier Monaten ist er zum Islam konvertiert und hält sich aufgrund neuer Freizeitbezüge und Freundschaften weniger im Jugendtreff auf. Nun teilt er mit, dass er es nicht mit seinen religiösen Werten vereinbaren kann, wenn Jugendliche in kurzen Hosen trainieren. Deshalb will er die Trainings und die Leitung der Sportanlässe nicht mehr übernehmen. Die Jugendarbeitenden wundern sich über die Begründung und bedauern seinen Weggang. Aber sie akzeptieren seine Entscheidung, ohne genauer nachzufragen. Kurze Zeit später erfahren sie, dass er nach Syrien ausgereist ist, wo er wenige Monate später umkommt. Im Nachhinein äussern sich die Jugendarbeitenden betroffen und fragen sich, ob sie in jenem Moment hellhörig sein und den Radikalisierungsprozess hätten erkennen müssen.

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Hinweis:
Die Fallbeispiele illustrieren die jeweilige Thematik und die damit verbundenen Herausforderungen. Sie enthalten jedoch nicht unbedingt Empfehlungen dazu, welche Massnahmen in den dargestellten Radikalisierungsfällen ergriffen werden sollten. Diese gilt es von Fall zu Fall sorgfältig abzuwägen und zu beschliessen. Einige Beispiele präsentieren aber Präventionsmassnahmen, welche sich in vergleichbaren Situationen als wirksam herausstellen können.

Akzeptierende Beziehungsarbeit
Ein echtes Interesse an dem, was Jugendliche beschäftigt, ist eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Beziehungsarbeit zu und mit ihnen. Folgender Grundsatz der akzeptierenden Jugendarbeit ist deshalb in der Extremismusprävention von grosser Bedeutung1: Dass sich das sozialarbeiterische Interesse vorrangig auf die Probleme richtet, die Jugendliche haben, und nicht auf jene, die sie machen. Bei gewaltaffinem Verhalten und radikalen Äusserungen eines jungen Menschen sollten pädagogische Fachkräfte der Sozial- und Jugendarbeit diese professionelle pädagogische Herangehensweise stets wahren.

Bei provozierenden Äußerungen beispielsweise kann es für sie ratsam sein, Abstand zu nehmen von ideologischen oder religiösen Aspekten und die Situation aus pädagogischer Sicht zu betrachten. Dazu gehört, mögliche Motive der Jugendlichen für ihr Verhalten zu beachten. Wenn es um politisch oder religiös motiviertes Verhalten geht, sollten sich Sozial- und Jugendarbeitende bewusst sein, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft unterschiedliche Lebensweisen, politische Haltungen oder Religionsbezüge mit sich bringt. Das heisst: Wenn Jugendliche extremistische Ideen und Haltungen äussern, sich von bisherigen Freundinnen und Freunden abwenden, exzessiv Gewaltvideos konsumieren und verbreiten, andere Jugendliche ausgrenzen und erniedrigen, können das Anzeichen einer Radikalisierung sein, müssen aber nicht. 

  • 1 Krafeld, Franz-Josef (1996). Die Praxis akzeptierender Jugendarbeit. Konzepte, Erfahrungen, Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendcliquen. Opladen: Leske & Budrich.