Intervention bei Radikalisierungsprozessen

Was ist zu tun, wenn sich die Anzeichen verdichten, dass eine Jugendliche oder ein Jugendlicher zunehmend in extremistische Milieus abdriftet? In diesen Fällen sollten sich die Fachpersonen der Sozialen Arbeit erstens um eine fachkundige Einschätzung der Situation mittels Screening Tool bemühen. Zweitens sollten sie die zuständige kantonale oder städtische Anlaufstelle einbeziehen, die dafür zuständig ist. Das ist auch möglich, ohne den Namen der betroffenen Person zu nennen. Besteht unmittelbares Gewalt- oder Gefahrenpotential – zum Beispiel bei der Vorbereitung einer Gewalttat oder einer geplanten Abreise in ein Kriegsgebiet – ist es nötig, möglichst schnell die Polizei zu informieren. Dabei sind das Bedrohungsmanagement sowie die Meldeabläufe des jeweiligen Arbeitgebers oder der jeweiligen Arbeitgeberin zu beachten.

Auf längere Sicht ist es wichtig, dass der Kontakt oder die Beziehung zu dem oder der Betroffenen nicht abbricht: Denn Vertrauen und ein persönlicher Zugang können ein Schlüssel dafür sein, dass sich jemand aus einer extremistischen Szene löst. Extremistische Gruppierungen versuchen meistens darauf hinzuwirken, dass die Betroffenen ihr bisheriges Beziehungsnetz aufgeben und sich aktiv davon distanzieren. Deshalb ist es auch wichtig, die Eltern und bisherigen Freundinnen und Freunde zu ermutigen, mit den Betroffenen in Beziehung zu bleiben und einen regelmässigen Austausch zu ihnen zu pflegen – damit diese nicht alle Brücken abbrechen und ihnen ein Weg zurück offenbleibt.

Bewährungshilfe und Reintegration verurteilter Extremistinnen und Extremisten
Extremistinnen und Extremisten sowie Gefährderinnen und Gefährder, die aus der Haft entlassen werden, sind eine spezielle Zielgruppe: Sie werden im Zwangskontext der gesetzlichen Sozialarbeit begleitet. In manchen Fällen besteht ein Austausch mit Bewährungshelfenden oder der Polizei. Dann können die Sozialarbeitenden die Situation sowie Möglichkeiten, wie sie die Reintegration der Entlassenen unterstützen können, mit ihnen besprechen. Die Rehabilitation der Straftäterinnen und Straftäter sowie die Entwicklung einer Zukunftsperspektive sind grundsätzlich «der beste Weg zur Gewährleistung der Sicherheit der Gesamtgesellschaft»1. Dazu zählen insbesondere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten.

Ein junger Mann (22 J.) mit Migrationshintergrund, der in der Schweiz aufgewachsen ist, verbringt über ein Jahr in Untersuchungshaft. Kurz nachdem er für seine islamistisch motivierten Extremismusaktivitäten verurteilt worden ist, wird er aus dem Strafvollzug entlassen. Bewährungshilfe ist nicht angeordnet, aber er muss sich regelmässig auf dem örtlichen Polizeiposten melden. Vor seiner Untersuchungshaft hat er die Stelle, die er nach Lehrabschluss angetreten hatte,  aufgegeben und sich ganz seinem Glauben und der extremistischen Organisation, welcher er angehört, gewidmet. Nach der Haft ist er auf wirtschaftliche Sozialhilfe angewiesen, und seine berufliche Reintegration ist aufgrund seines strikt religiösen Lebensstils und seiner Kompromisslosigkeit schwierig – das gilt auch für die Teilnahme an Arbeitsintegrationsprogrammen. Deshalb konzentriert sich die zuständige Sozialarbeiterin auf die soziale Reintegration. Diese gestaltet sich aber ebenfalls schwierig: Einige ehemalige Freunde haben sich aufgrund der Verurteilung vom jungen Mann abgewandt. Sie befürchten, auf den Radar der Sicherheitsbehörden zu geraten, wenn sie Kontakt zu ihm pflegen. Verschiedene örtliche Moscheen haben ihm Hausverbot erteilt, weil sie seine früheren Extremismusaktivitäten missbilligen und kein Risiko eingehen möchten. Und seine Partnersuche bleibt bislang erfolglos. Obwohl der junge Mann seine früheren Extremismusaktivitäten bereut, schätzt die Sozialarbeiterin seine ausgeprägte soziale Isolation und die Ausweglosigkeit der Situation als mögliches Radikalisierungsrisiko ein. Deshalb steht sie im Austausch mit den Sicherheitsbehörden und versucht den jungen Mann über ein Hobby, welches er früher pflegte, in Austausch und Kontakt mit neuen Kreisen zu bringen.

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Hinweis:
Die Fallbeispiele illustrieren die jeweilige Thematik und die damit verbundenen Herausforderungen. Sie enthalten jedoch nicht unbedingt Empfehlungen dazu, welche Massnahmen in den dargestellten Radikalisierungsfällen ergriffen werden sollten. Diese gilt es von Fall zu Fall sorgfältig abzuwägen und zu beschliessen. Einige Beispiele präsentieren aber Präventionsmassnahmen, welche sich in vergleichbaren Situationen als wirksam herausstellen können.

In einer Situation wie dieser kann eine Reintegration schwierig sein. Dann gilt es, allenfalls auf frühere Beziehungen zurückzugreifen. Diese lassen sich mit dem nötigen institutionellen Rückhalt möglicherweise darauf ein, die Beziehung wiederaufzunehmen und dem oder der Betroffenen eine Chance zu geben. Damit er oder sie beispielsweise die frühere berufliche Tätigkeit wiederaufnehmen kann.